DOMINIK: Es gibt ja die Theorie, dass das Leben von der Liebe, vom Tod oder von der Neugier angetrieben wird. Was treibt dich an?

LEO HILLINGER: Immer die Neugier. Die ist definitiv der Antrieb. Die Neugier danach, was auf mich zukommt, was mich erwartet. Auch bei meinen Fernsehshows. Oder neue Jahrgänge zu machen, neue Weine. Herauszufinden, wie es im biologischen Weinbau weiter geht. Das treibt mich an.

Kommt man nicht irgendwann auch an einen qualitativen Zenit…

Nein!

…im Weinbau?

Nein, überhaupt nicht. Jeder Jahrgang ist anders. Du musst dir vorstellen: der August, zum Beispiel, ist jetzt ganz gut. Aber es kann morgen schon der Regen einsetzen und erst im September aufhören. Dann ist alles futsch. Und jeden Jahrgang entwickeln sich die Weine und die Wirtschaft anders.

Du hast einmal gesagt, dass Erfolg für dich Zufriedenheit ist. Aber ich denke mir, Zufriedenheit ist doch auch ein Widersacher des Wachstums. Man bleibt doch irgendwie stehen, wenn man mit sich, mit einer Sache, zufrieden ist.

Zufriedenheit kann ein sehr schlechter Motivator sein. Aber es kann auch einfach die Reife sein, die man mit dem Alter bekommt. Du kannst zufrieden sein mit deinem Leben, mit dem, was du erreicht hast, und trotzdem neugierig sein auf die nächsten Lebensjahre. Also … Zufriedenheit heißt für mich persönlich einfach glücklich sein mit dem, was man hat, dass die Kinder gesund sind, dass ich selber gesund bin.

Dankbarkeit.

Genau. Zufriedenheit heißt ja nicht Stopp. Das ist ja nur so ein Abschnitt, den du jetzt erlebst. Und durch diese Zufriedenheit sagst du dir, dass es dir einfach sehr gut geht.

Du hast jetzt von Reife gesprochen.

Mhm.

In irgendeinem Interview sagtest du, dass man mit 21 Jahren noch sehr dumm und naiv ist. Ich werde am Wochenende 21. Da kommt jetzt also was auf mich zu.

[Gelächter]

Hah! Ja!

Naivität magst du überhaupt nicht. Aber ist die nicht eigentlich sehr gut, wenn man etwas Neues beginnt, weil sie einen auch vor dem abschreckenden Wissen bewahrt, dass Unangenehmes auf einen zukommt? Weil sie einem quasi auch Mut schenkt?

Das ist eigentlich ein guter Gedanke. Naivität schützt, aber es bricht auch auf. Also das heißt, wenn du naiv bist, hast du schon eine gewisse Offenheit, und du läufst dadurch auch Gefahr, dich gewissermaßen zu zerstören. Ich nehme mir zum Beispiel keine Zeit mehr für Leute, die mir Schwachsinn erzählen. Und deswegen bin ich sehr dankbar für meine, nennen wir es Weisheit, die ich mir im Laufe meiner Lebensjahre und über die Arbeitsjahre, angeeignet habe. Weißt du, ich habe mir auch sehr viel Blödsinn angehört, früher. Und das hat mir sehr viel Lebenszeit geraubt. Und, um auf den Punkt zu kommen, meine Naivität hat mich einfach dazu gebracht, mich mit diesen Menschen abzugeben, und das würde ich heute sicher nicht mehr machen. Die Naivität hat mich dazu gebracht, dass ich ein großes Schuldenpaket übernommen haben, das ich heute auf keinen Fall wieder übernehmen würde.

Wenn man dich der Naivität beraubt hätte, du den Betrieb damals nicht mit den 400.000€ Schulden übernommen hättest, wärst du trotzdem Weinbauer geworden, hättest du bei Null angefangen?

Genau. Ich habe bei Minus angefangen. Sonst hätte ich bei Null angefangen. Und ich wäre jetzt weiter, als ich bin.

Auf jeden Fall wärst du weiter als jetzt, aber…

Hundert Prozentig.

…aber es ist doch trotzdem hart, Unternehmer zu werden, Weinbauer zu werden. Stell dir vor, du hättest deine heutige Erfahrung damals schon gehabt, keinerlei Naivität… Du hättest ja vorher schon gewusst, worauf du dich da einlässt. Hättest du das trotzdem gemacht?

In der heutigen Zeit ist das schon sehr, sehr hart, ja. Damals, mit meiner Innovation und vor allen Dingen mit meiner Kreativität, ist mir das recht einfach gefallen. Ich hab damals meistens die Kredite bekommen, die ich brauchte. Heute haben die Banken Risiko-Manager, die schon verneinen, bevor sie sich irgendetwas anhören. Von dem her ist es schon schwieriger in der heutigen Zeit. Also ich bin keinem neidisch, der jetzt anfangen will oder muss. Also ja. Naivität kann schon auch positiv sein. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt.

In der richtigen Dosierung.

In der Dosierung. Und vielleicht eher so: 90%…

…Reife.

90% Reife und 10% Naivität. Ich hab einfach schon sehr viel Schwachsinn gemacht im Rausch der Naivität.

Bist du heute schon mit dem Rennrad gefahren?

Nein. Siehst du, wäre ich naiv, wäre ich schon mit dem Rennrad gefahren. Aber ich war heute bei meiner Physiotherapeutin. Morgen dann bei meinem Arzt. Ich muss schauen, dass ich von meinen Schmerzen wegkomme.

Oje. Der Mountainbike-Sturz?

Ja, genau. Bänder gerissen.

Hm.

[Schweigen]

Jetzt hast du mir mit der Antwort natürlich ein bisschen den Geprächsfluss vereitelt.

Ich hab´s mir gedacht.

Hätte dich heute vormittags die Naivität befallen, dann hätte ich dich jetzt fragen können, wohin deine Gedanken denn so fliegen, wenn du alleine auf dem Rennrad fährst.

Ich kann durch das Radfahren sehr kreativ sein. Also wenn ich nicht gerade mit irgendwem telefoniere, dann bin ich brutal kreativ. Sport zu machen ist für mich überhaupt die Grundvoraussetzung für meine Kreativität.

Hörst du Musik, während dem Kreativsein?

Ja, immer Musik.

Und dann am liebsten Kings of Leon.

Dann am liebsten Kings of Leon. Ganz genau. Die finde ich toll.

Welcher ist dein Lieblingssong?

Sex on Fire.

Meiner ist Four Kicks.

Four Kicks ist auch toll. Es gibt überhaupt extrem schöne Musik zu hören. Für mich soll sie auch immer einen Sinn haben. Und sehr, sehr wichtig ist für mich die Stimme. Die soll außergewöhnlich sein, dann gefällt mir das.

Kings of Leon ist jedenfalls sehr atmosphärisch. Ich hab mal gelesen, dass es die Kreativität anregt, wenn man klassische Musik hört. Vivaldi oder so.

Mhm. Klassische Musik höre ich ganz gerne beim Lesen.

Hörst du das dann bewusst? Weißt du, was du hörst?

Es kommt immer drauf an. Musik kann ja einiges ausdrücken. Also wenn man Beethoven hört, zum Beispiel, dann hört man, wie es ihm in den späten Stücken immer schlechter ging.

Ich finde, es sind seine besten Sachen, die er fast taub komponiert hat.

Finde ich auch. Ich mag das, weil es so ausdrucksvoll ist.

Die Appassionata.

Genau. Oder Rossini zum Beispiel, der ist auch ein großes Thema bei mir. Da gibt es so viel und es ist auch einfach schön, durch Musik kreativ zu sein.

Leo, du bist ja auch zuweilen im TV zu sehen. Stell dir vor, du könntest an so einem schwülen Sommerabend auf die Wohnzimmerteppiche der Familien heraussteigen und den Leuten, die da auf den Sofas sitzen, etwas sagen.

Ich würde denen anbieten, ein Glas Wein mit mir zu trinken.

Das finde ich schön.

Das mache ich sehr gerne. Ich bin jemand, der die Menschen liebt und gerne mit den Menschen spricht, um etwas mehr von ihnen zu erfahren. Ich bin der Meinung, dass man da sehr viel lernen und daraus mitnehmen kann. Als wir zuhause unseren Heurigen hatten, habe ich es schon sehr genossen mit den Menschen zu reden, um herauszufinden was sie machen und was sie bewegt.

Höflichkeit ist dir sehr wichtig.

Ganz wichtig.

Auch bei deinen Kindern.

Immer. Aufstehen, Grüßen, Hand geben. Weißt du, wenn du Deppen hast, hast du sie selber erzogen. Das ist immer so.

Kinder sind, glaub ich, ein sehr schonungsloser Spiegel für die Eltern. Was hast du von deinen Kindern über dich gelernt?

Naja. Ich mache manchmal sehr eigenwillige Aussagen, und dann machen sie mich nach und ich muss dann immer lachen. Aber es ist dann ja manchmal fast traurig, wenn sie dir so einen Spiegel vorhalten.

Kinder können auch sehr gute Vorbilder sein, finde ich.

Ja! Man kann wahnsinnig viel lernen! Kinder sind auch so ehrlich zu einem. Irgendwann einmal hab ich zum Beispiel irgendetwas Strenges zu meinem Sohn gesagt, und er meinte dann: Papa, wenn du so reagierst, dann werde ich dich in Zukunft anlügen müssen, weil ich Angst habe. Und dann hab ich mir das überlegt und habe gemerkt: recht hat er.

Wer inspiriert dich sonst noch? Hast du ein Vorbild?

Mich inspirieren Menschen, die gescheit und dennoch bodenständig sind. Die inspirieren mich. Und Menschen, die etwas weiterbringen im Leben.

Angelo Gaja.

Der inspiriert mich sehr. Der Angelo war ja der, der in die Mehrmarkenpolitik gegangen ist, der eine große Marke aufgebaut hat mit seinen Weinen. Und dann hat er auch eine zweite Linie gemacht und das dementsprechend vermarktet. Das hat mir persönlich sehr viel gegeben. Da habe ich sehr viel gelernt.

Er ist ein Reformator.

Stimmt.

Genau wie du ja auch.

Ja. Ich bin auch jemand, der sehr viele eigene Erfahrungen weitergeben möchte. Deshalb auch meine TV-Shows. Österreichs nächster Topwinzer beispielsweise. Das müsste ich ja nicht machen. Und das macht man nicht aus Eigeninteresse, sondern weil man will, dass in der Branche was weitergeht.

Bist du jemand, der sich immer wieder neu erfindet?

Auch in Bezug auf den Sport. Ich betreibe immer irgendeine Art von Sport. Und dann kommt etwas Neues und das betreibe ich wieder extrem. Und auch im Unternehmen muss man sich immer neu erfinden, weil einem ja dauernd irgendwelche Sachen auffallen. Bei meinen Reisen beispielsweise sehe ich sehr viele Dinge und bekomme Ideen und dann komme ich heim und meine Mitarbeiter denken sich: Oje, jetzt kommt der schon wieder mit neuen Ideen.

Es kostet ja schon Kraft, sich immer neu zu erfinden.

Ja eh. Aber was für mich anstrengend ist, ist für viele andere gar nicht machbar.

Du bist sehr anders. Das kann auch einsam machen.

Pfuh. Das hoffe ich nicht. Ich bin ja ein kommunikativer Typ. Ich glaube nicht, dass ich irgendwann einsam sein werde. Es gibt ja auch verschiedene Arten von Einsamkeit.

Unter vielen Menschen kann man sich sehr einsam fühlen.

Man kann unter vielen Menschen auch einsam sein, genau. Aber ich hoffe nicht, dass mir das passiert. Ich weiß ja nicht, was auf mich zukommt. Das weiß man nie.

Macht dir das Angst? Macht dich das Neugierig?

Eigentlich macht es mir keine Angst. Ich möchte nur nicht, dass das zerstört wird, was ich mühsam aufgebaut habe. Es gibt ja auch so viele Neider, die irgendwas reden, was gar nicht stimmt, und das kann dich zerstören. Gerade in der heutigen Zeit kann das ja schnell gehen, dass jemand irgendetwas erfindet, weil der mich nicht mag…

Ja, stimmt.

…und wenn das dann im Netz ist, dann ist das für die meisten Leute einfach so. Das macht mir schon Angst. Ich muss mich ja auch immer wieder beweisen mit meinen Weinen. Die Leute sagen immer: Der Hillinger mit seinem Marketing. Aber mit einem schlechten Produkt kannst du auch mit gutem Marketing keinen Erfolg haben. Und es ist ein großartiges Produkt. Wir machen auch ständig Blindverkostungen. Jetzt fliegen wir bald nach Mallorca für eine Blindverkostung. Ich muss mich einfach immer wieder behaupten. Für mich ist das ein ständiger Kampf, obwohl ich mich eigentlich gar nicht behaupten müssen sollte. Damals zum Beispiel, bei der Zusammenarbeit mit Hofer

Flat Lake

…Genau. Da wurde ich kritisiert, weil mein Wein bei Hofer verkauft wurde. Dabei stimmt das nicht, es ist ja gar nicht mein Wein.

Dabei ist es ein sehr guter Wein.

Ein sehr guter Wein!

Die größte Freiheit genießt, wer am wenigsten zu verlieren hat, oder?

Ich würde sagen, das stimmt. Ich, für mich selbst, hab keine große Angst, etwas zu verlieren, sondern eher Angst für meine Kinder, weil die ja die Nutznießer sind. Ich kann ja nichts mitnehmen, ins Grab. Ich möchte einfach lang leben und gesund sterben. Ab einer gewissen Altersklasse ist das ein sehr wichtiges Thema.

Du willst in den nächsten Jahren übergeben?

Mir ist wichtig, dass meine Kinder ihre Schulen und ihre Matura erfolgreich abschließen. Ich als Vater rate ihnen immer an einen Auslandsaufenthalt zu machen, da mir diese Aufenthalte sehr viel gebracht haben. Nicht nur fachlich, sondern vor allem für meine persönliche Weiterentwicklung. Meine Kinder sind beide sehr daran interessiert, das Unternehmen einmal zu führen und dafür müssen sie auch gewissen Voraussetzungen erbringen. Zeitlich gibt es keine Begrenzung. Am wichtigsten ist mir als Vater aber, dass meine Kinder das machen können und dürfen, was sie glücklich macht.

Deine Mutter sagte, als du als junger Mensch eine zeitlang ins Ausland gegangen bist, so sinngemäß, dass es ihr lieber ist, du bist anderswo glücklich, als zu Hause unglücklich.

Genau. Das ist sehr schlau. Du kannst niemanden halten. Von meinen Kindern braucht auch niemand übernehmen. Die müssen sich irgendwie erhalten und glücklich sein. Der Rest ist mir egal. Die dürfen machen, was sie wollen. Wenn sie das Unternehmen übernehmen wollen, haben sie gewisse Voraussetzungen. Wie schon gesagt: Ausland und Arbeiten. Und kein Studium.

Dein Sohn hat auch schon seinen eigenen Wein gemacht. Wie alt ist er? 17? 18?

Genau. 18 ist er jetzt.

Das ist schon echt beeindruckend. Und mit 15 hast du ihm einen halben Hektar geschenkt.

Ja genau. Mein Sohn hat ein tolles Produkt erschaffen und das freut mich wirklich sehr für ihn. Der Wein nennt sich Jack without dad und ist einer meiner Lieblingsweine.

Also ist er ein Qualitätsfanatiker. Wie du.

Ja ja. Ich hab ihn jetzt letztens in die USA auf einen Businesstrip mitgenommen. Da haben wir Blindverkostungen gemacht. Im Hotel, weil er ja bis 21 nicht trinken darf. Und das war sehr spannend, weil er wirklich ambitioniert ist.

Wie weiß man denn, wann ein Produkt fertig ist, wann man das Potential erreicht hat?

Das ist natürlich sehr schwierig, weil die Geschmäcker ja unterschiedlich sind. Der eine möchte einen Sauvignon haben, der frisch, fruchtig, saftig ist. Ein ganz typischer Sauvignon. Aus dem man Brennnessel und Paprika riecht und teilweise noch karibische Noten dazu. Und der andere mag wieder Weine, die älter sind, die den Alterston haben. Und bei den Rotweinen das selbe. Der eine mag Tannine und Säure, der andere mag es weich. Wir haben jetzt letztens Weine verkostet, die 20-25 Jahre alt sind und die sind immer noch richtig gut.

Und du orientierst dich aber an deinem Stil.

Genau, ich hab einen gewissen Stil. Alles, was mir schmeckt, mache ich. Für mich persönlich muss der Wein passen.

Nachgesagt wird dir auch, dass du die österreichische Weinwelt geprägt hast. Welche große Veränderung schreibst du dir zu?

Die Offenheit. Das Marketing. Das ist eine wichtige Sache. Diese Kreativität.

Inwiefern Offenheit?

Die Offenheit zum Endverbraucher. Das war ja früher nicht so…

Die Transparenz.

…die Transparenz und das aggressive Marketing.

Glaubst du, dass du andere Weinbauern inspirierst?

Ja. Hundert Prozentig.

Leo. Wir sind leider schon am Ende unserer Zeit. Vielen Dank für das Gespräch!

Lieber Dominik, es hat mich sehr gefreut!


Interview vom 10 • August • 20 in Jois

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